S3 - Richtlinie für Adipositas - Chirurgie
Krankhafte Fettsucht' lässt sich oft nur mit einer Magenoperation dauerhaft in den Griff bekommen. Wer einen kleineren Magen hat, isst weniger, und wem Teile des Dünndarms entfernt wurden, nimmt weniger Kalorien und Nährstoffe auf. In den Vereinigten Staaten und weiten Teilen Europas ist die Adipositas-Chirurgie ein fester Bestandteil der Behandlungsstrategie gegen krankhafte Fettsucht.
Nicht so in Deutschland. Hierzulande muss sich diese Disziplin immer noch des Eindrucks erwehren, sie verhelfe extrem Dicken, die zu willensschwach für Diät und Sport sind, zu einer kosmetischen Korrektur und sei nichts anderes als eine Form der Schönheitschirurgie.
Auch die mangelnde Bereitschaft der Krankenkassen, die Eingriffe zu bezahlen, hat deren Entwicklung in Deutschland behindert.
Operiert wird nur nach einer restriktiven Einzelfallprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie hat nun zusammen mit drei weiteren Fachgesellschaften eine S3-Leitlinie entwickelt und veröffentlicht, die der Adipositas-Chirurgie aus dem Abseits heraushelfen soll. S3-Leitlinien enthalten Empfehlungen, die auf einer systematischen Auswertung der wissenschaftlichen Literatur beruhen, und können von den Kostenträgern nicht einfach ignoriert werden.
Die Richtlinie im Einzelnen
Die S3-Leitlinie bestätigt den alten Anwendungsbereich der Adipositas-Chirurgie und erweitert ihn, indem sie alle Altersbeschränkungen und die meisten Ausschlusskriterien fallenlässt. Medizinisch sinnvoll ist eine Magenoperation entweder bei einem Body-Mass-Index (BMI) mehr als 40 Kilogramm pro Quadratmeter oder bei einem BMI von 35 bis 40 Kilogramm pro Quadratmeter und mindestens einer relevanten, mit der Fettsucht in Zusammenhang stehenden Begleiterkrankung.
Den Empfehlungen zufolge können auch alte Patienten und als Ultima Ratio auch Jugendliche operiert werden. Kinderwunsch ist kein Grund mehr, auf den Eingriff zu verzichten. Neu ist auch, dass die Leitlinie das Versagen der konservativen ' Therapie nicht mehr zur Bedingung für die Operation macht, sondern Eingriff auch bei "Erschöpfung" oder "Aussichtslosigkeit" dieser Maßnahmen empfiehlt.
Die neuen Begriffe sind nötig geworden, da Menschen mit krankhafter Fettsucht nicht auf herkömmliche Art abnehmen können. Das hängt mit dem geringen Energiebedarf und dem spät einsetzenden Sättigungsgefühl zusammen. Weil der Magen erheblich größer ist als bei Normalgewichtigen, lässt sich die Kalorienzufuhr nicht beliebig reduzieren. Auch der Energiebedarf kann nicht gesteigert werden, weil bei einem Gewicht von 150 bis 200 Kilogramm kein Sport möglich ist, da dies allein vom Herzen und von den Gelenken meist gar nicht möglich ist. Herkömmliche Strategien zur Gewichtsreduktion sind deshalb von vornherein zum Scheitern verurteilt. Das wird jetzt mit der Leitlinie anerkannt.
Die neuen Empfehlungen eröffnen auch den Einstieg in die metabolische Chirurgie. Dieser Begriff beschreibt die Tatsache , dass mit der dauerhaften Beschränkung der Energiezufuhr die durch das übermäßige Körperfett hervorgerufenen Begleiterkrankungen zurückgehen. Körperfett ist nicht nur ein Risikofaktor für weitere Erkrankungen, sondern auch deren Ursache. Die Liste der durch übermäßiges Körperfett hervorgerufenen Begleiterkrankungen liest sich wie ein Kompendium der großen Volkskrankheiten und reicht von Typ-Il-Diabetes über Bluthochdruck, Krebs und Fettstoffwechselstörungen bis zum Gelenkverschleiß. Besonders beeindruckend sind die durch die Adipositas-Chirurgie erreichten Rückbildungsraten beim Typ-Il-Diabetes, an dessen Entstehung der Dünndarm offensichtlich in großem Maße beteiligt ist. Die S3-Leitlinieempfiehlt, dass bei Patienten mit Typ-Il-Diabetes schon bei einem BMI von 30 bis 35 Kilogramm pro Quadratmeter eine Magenoperation erwogen werden kann.
Die S3-Leitlinie bevorzugt keine der vier verschiedenen Standardoperationen. Sie enthält lediglich eine Empfehlung für den Zugangsweg. Operiert werden soll mit der Schlüssellochchirurgie. Die Leitlinie verweist auch darauf, dass die Entfernung des Hautüberschusses nach dem radikalen Gewichtsverlust Teil des Behandlungskonzeptes bei der krankhaften Adipositas sein sollte. Bislang müssen die Patienten diese Korrekturen in der Regel in vollem Umfang selbst bezahlen. Die Leitlinie unterstreicht des Weiteren die Bedeutung der Nachsorge. Die Magenoperationen führen zwar zu einem drastischen Gewichtsverlust, trotzdem muss der Patient auch weiterhin betreut werden. Allerdings gibt es für diese Nachsorge derzeit noch keine Versorgungsstrukturen und keine Vergütung. Es sei deshalb auch Aufgabe der Fachgesellschaften, sich für die Einrichtung solcher Strukturen einzusetzen.
Auswirkungen auf die Kostenübernahme
Welche Auswirkungen die S3-Leitlinie auf die Einzelfallprüfung durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen haben wird, ist derzeit noch offen. Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen ließ auf Anfrage mitteilen, dass die Konsequenzen geprüft werden. Vermutlich wird die S3-Leitlinie die gängige Praxis verändern, weil die Empfehlungen das derzeitige, aus Studien hergeleitete Wissen spiegeln und die Patienten einen Anspruch auf eine Behandlung nach dem neuesten Wissensstand haben.
Anlage: Leitlinien als PDF-Dokument